Das neue Dach

Mitte Oktober wurde das Gerüst aufgebaut. Es war ganz schön knapp mit den beiden Hauseinfahrten rechts und links, aber es hat so gerade eben gepasst. Der Termin mit dem Zimmermann für die Dachstuhlsanierung wurde abgesprochen und dann begann die wochenlange Höhenangstkonfrontationstherapie.

Den Plan, die alten Dachziegel wiederzuverwenden haben wir nach einem kurzen Reinigungsversuch aufgegeben. Die meisten waren bei näherer Betrachtung doch erheblich beschädigt und das Moos wurzelte so tief in feinen Rissen, dass selbst ein Profi-Hochdruckreiniger es nicht vollständig beseitigen konnte. Es war absehbar, dass das nicht mehr lange gutgeht. So entschlossen wir uns, die Dachziegel durch neue Tonziegel gleicher Bauart zu ersetzen. Die sogenannten „Historischen Doppelfalzziegel“, auch „Scheunenziegel“ genannt, sind zum Glück noch gebräuchlich – und einigermaßen massiv. Hagelwiderstandsklasse 4. Ein Exemplar wiegt 3,2 Kilo.

Dachziegelweitwurf

Doch zunächst mussten die alten Ziegel runter. Da zur Straßenseite nun das Gerüst mit Auslegern zur Stabilisierung der Fassade aufgestellt war, konnten wir sie nur zum Hof hin runterwerfen. Durch die Einfahrt passt aber der Container-LKW nicht. Die Lösung sah schließlich so aus, dass wir vier Minicontainer mit Rolluntersatz bestellt haben, die wir nach hinten rollen konnten. Plus zwei Anhängerladungen. Der muntere Dachziegelweitwurf dauerte zwei Tage. Der First war eingemörtelt, sodass Dietmar erst auf dem maroden Dach rumturnen und alles losschlagen musste, bevor wir großflächig abdecken konnten. Es regnete und war ziemlich kalt. Damit der Regen nicht das ganze Haus und vor allem nicht die schönen neuen Decken durchnässt, haben wir eine 80 m²-Plane gekauft und über den Dachstuhl gezogen. Ha, als alte Camper! Wie es das Schicksal so wollte, war es dabei auch noch windig, was mit einem 80 m²-Segel in der Hand gar nicht schön war. Bis auf ein bisschen Adrenalin ist aber nichts passiert.

Dann gingen die Zimmerleute an die Arbeit und setzten eine exakt geraden Dachstuhl auf unser krummes Haus. Der alte Dachstuhl aus etwa 10 cm dicken Sparren wurde mit den neuen 20 cm breiten Sparren einfach umbaut, sodass er, wie gefordert, erhalten bleibt, aber nichts mehr trägt. Wir waren echt froh, dass das so gut hingehauen hat. Manche Balken waren großflächig vermorscht oder bereits notdürftig mit Dachlatten verstärkt, daher machte es auch keinen Sinn, sie dekorativ einzubinden. Es blieb also nur: Drumrumbauen und einpacken. Sichtbar bleiben nur die Querbalken, der Rest wird wohlig in der Zwischensparrendämmung aus Cellulose eingepackt, wo er bis zur nächsten Kernsanierung in 100 Jahren gut konserviert ist.

Der Dachdeckerkönig mit dem Tennisarm

Die Dachdeckerarbeiten haben wir dann wieder selbst übernommen. Wobei ich ja nur das Helferlein bin und Dietmar „The Brain“ und der Macher. Ich bewundere, dass er das alles kann: Dachkästen bauen, Dachrinnen anbringen, die Lattung richtig setzen und so weiter. Es war eine ziemlich harte Zeit. Es blieb kalt, regnerisch und windig und man hatte ständig nasse Handschuhe. Nach tagelanger Lattennagelei hatte Dietmar dann einen Tennisarm. Ich kam mir hingegen vor wie in einem Jump-and-run-Spiel, weil ich am laufenden Band irgendwelche Dinge suchen, holen, anreichen, vorbereiten oder wegbringen musste. Gerüst rauf, Gerüst runter. Klettern, turnen, bücken, heben, tragen.

Schon mal fünfeinhalb Tonnen Dachziegel im Internet bestellt? Nö, wir auch nicht. Leider war der Gabelstapler der Spedition zu breit (!) für unsere Einfahrt. Wir hatten uns zwar extra für solche Fälle einen gebrauchten Handgabenhubwagen besorgt, aber dummerweise waren die Ziegel nicht auf Euro- sondern auf Einweg-Paletten verpackt. Diese Mistdinger hatten dort Kufen, wo die Gabeln des Hubwagens waren. Dank des heldenhaften Einsatzes des Fahrers haben wir es zu dritt mit Mühe und Not geschafft, die Paletten trotzdem mit dem Hubwagen in den Hof zu schaffen. Dafür haben wir ihm ein ordentliches Trinkgeld gegeben. Das sind diese kleinen Widrigkeiten, die einem so unverhofft dazwischen kommen.

Nun mussten die fünfeinhalb Tonnen Dachziegel nicht nur in den Hof, sondern auch rauf aufs Dach. Das Gerüst hat extra einen kleinen Ausleger für unseren Elektro-Seilwinde bekommen, pro Fahrt konnte man so 10 Dachziegel hochbringen. Praxisnahe Textaufgabe: Wieviele Fahrten braucht es, um 1500 Dachziegel nach oben zu bringen? Wrrrrrrrrrrr … Ein für den Niederrhein unverschämt früher Wintereinbruch brachte Anfang Dezember Schnee und Eis und hielt uns ein paar Tage auf, aber bald darauf war dann endlich alles zu und wir hatten ein neues, stabiles und gerades Dach. Von verschiedenen Nachbarn gab es Lob: „Sieht gut aus!“

Letzter Schritt: Die Obergeschossdecke

Die letzte fiese Arbeit war der Abriss der Obergeschossdecke, denn hier war noch säckeweise Mineralwolle eingebaut. Doch nicht nur das: Auch eine vom Holzwurm zersetzte Dielenlage hielt sich hier noch verborgen und machte richtig Dreck. Aber auch das war nach zwei oder drei Tagen erledigt und dann bekamen wir wieder Besuch von den Zimmerleuten, die uns über Badezimmer und Ankleide eine neue Decke zimmerten. Über Dietmars Büro, dem Flur und dem Schlafzimmer bleibt der Raum nach oben offen, was uns sofort total gut gefiel. Endlich wirkte das Obergeschoss luftig und nicht mehr bedrückend. Zuguterletzt wurden die dicken, alten Zugbalken etwas eingekürzt, hochgesetzt und auf eigene Stützen gestellt, die auf extra dafür gegossenen Betonsockeln im Erdgeschoss lasten. Zum Schluss ließen uns die Zimmerleute wissen „Wir wollten es euch ja nicht sagen, aber zwischendurch haben wir nicht geglaubt, dass das gutgeht.“ Schluck … es ist gutgegangen und sieht top aus. Wir waren einen großen Schritt weiter.