Die Türtransplantation

Ein Thema, das zwar nie Priorität hatte, aber im Hintergrund schwer an mir genagt hat, war die Haustür. Das braune Aluminium-Prachtstück mit der abgegriffenen Friedhofsornamentik war weder schön, noch passte es zu unserem alten Häuschen. Von den energetischen Gesichtspunkten ganz abgesehen. Wir schauten uns anfangs intensiv nach einer neuen Haustür um. Relativ schnell wurde jedoch klar, dass nichts, was man heute von der Stange kaufen kann, auch nur annähernd die gleiche Wirkung und Seele hatte, wie die aufwändig verzierten alten Haustüren, die in Rheinberg an vielen Stellen noch erhalten sind.  So habe ich anderthalb Jahre lang immer mal wieder Kleinanzeigen nach alten Holzhaustüren durchstöbert und hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben. Es musste ja ein Format sein, dass in unseren vorhandenen Türausschnitt passt, den Anschlag auf der richtigen Seite und ein Oberlicht hat. Zu vielfach überzogenen Preisvorstellungen fand ich überwiegend halb verrottete, überbreite Doppelflügeltüren ohne Oberlicht in Ganzweitweg.

Ende Mai ploppte plötzliche eine Facebook-Marketplace-Anzeige auf meinem Handy auf: „Folgender Artikel könnte Sie interessieren: Alte Holzhaustür von ca. 1900“. Ich hätte den Algorithmus und die Datenspionagebots knutschen können, dass sie so sorgfältig meine Recherchen beobachtet hatten. Die Maße kamen unserem Türausschnitt sehr nah, sodass wir am nächsten Tag nach Oberhausen fuhren – direkt mit Anhänger. Wir trafen auf ein sympathisches Selbstsaniererpärchen in ungefähr gleichem Alter, die das alte, leicht angeschlagene Schätzchen sorgsam ausgebaut hatten und es zu schade zum Wegschmeißen fanden. Sie zeigten uns ein Foto des Hauses von 1900, es stand allein auf einer Wiese, wie ein Bauernhaus. Heute war es ein Reihenhaus in einem zugebauten Wohnblock. Ich war von der Tür sofort völlig begeistert. Sie zog mich gleich in ihren Bann. Von den aufwändigen Schnitzereien und Zierleisten blätterte ein schwarzer Lack, aber von einigen morschen Stellen im unteren Bereich mal abgesehen, war das Holz ausgesprochen gut erhalten. Das Türblatt war wie für unser Haus gemacht, der Rahmen war etwas zu breit und mit Oberlicht 3,50 m hoch, unsere Decken sind jedoch nur 2,80 m hoch. Da die Tür aber ohnehin ein Upgrade von einem Schreiner brauchte, sollte die Anpassung theoretisch kein Problem sein. Auch war der Anschlag auf der falschen Seite, aber das die Beschläge sowieso erneuert werden mussten, hielten wir auch das nicht für ein Problem. Wir kauften das gute Stück. Ich glaube, ich war noch nie für 250 Euro so glücklich.

Entlacken für Anfänger

Die diversen alten Lackschichten hatten das Holz glücklicherweise sehr gut konserviert, beschäftigten mich allerdings auch gute drei Wochen. Beinahe täglich verbrachte ich mehrere Stunden in einer gebeugten Haltung über den zugeklebten Schnitzereien. Dazu muss ich aber erwähnen, dass ich solch meditative Tätigkeiten manchmal sehr gern und ausdauernd betreiben kann. Im ersten Versuch machte ich mich mit einer rotierenden Bürste an dem blättrigen Lack der Außenseite zu schaffen, weil ich damit ja bei den alten Holzbalken bahnbrechende Erfolge gefeiert hatte. Aber Fehlanzeige. Da der uralte Harzlack härter war als das Holz, blieb der Lack stehen und die Bürste erodierte bloß das Holz. Mit der Heißluftfön-Spachtelmethode war ich deutlich erfolgreicher, dennoch gelang es mir damit lediglich, die dicke obere Schicht abzuschmelzen. Besonders mühsam war es, den klebrigen Matsch aus den ganzen schönen Schnitzereien und Schnörkeln rauszukratzen. Ein ölig riechender, klebriger, schwarzer Rest, der gleich wieder hart wurde, wenn er erkaltete, hielt sich hartnäckig. Zwei Runden Abbeizer später hatte ich dann endlich das Holz auf der Vorderseite freigelegt. Durch die ganze Prozedur war das Holz rauh und angegriffen und weil hier und da noch Reste in den Schnitzereien und Profilen klebten, kam ich nicht drumrum, die ganze Front abzuschleifen. Ich verschliss knapp 300 Schleifpuschel für den Multi-Dremel, um die geschnitzten Zierelemente, Profile und Details aufzuarbeiten und den Messingtürgriff wieder zum Glänzen zu bringen.

Auf der Rückseite verhielt es sich anders: Hier hatte man in den etwa 120 Jahren ihrer Geschichte mehrere Schichten aufgebracht: neuzeitlichen weißen Lack auf einer unglaublich harten mintgrünen Lackschicht, worunter dann noch die beliebte rote Ölfarbe („Ochsenblut“) auftauchte. Es folgten mehrere Abbeizdurchgänge und ausgiebiges Heißluftspachteln, bis auch die Innenseite halbwegs von Farbe befreit war. Die rote Ölfarbe saß auch nach dem Schleifen hartnäckig in allen Poren. Da wir aber annahmen, dass die Tür ohnehin verstärkt werden müsste, ließ ich die Poren rot und wir holten den Fachmann dazu. Onkel Michael. Entgegen unserer unfachmännischen Schätzung, es könnte sich um Pinie oder Lärche handeln, weil uns das Holz relativ leicht vorkam, identifizierte es mein Schreiner-Onkel Michael zweifelsfrei als Eiche.

Als sein Blick auf das rostige schmiedeeiserne Gitter fiel, an dessen verspielten Schnörkeln ich bereits Stunden gebeizt und gebürstet hatte, um den alten schwarzen Lack runterzubekommen, gab er mir den Tipp, es sandstrahlen zu lassen. Für schlappe 20 € hatte ich ein paar Tage später ein blitzblankes Schnörkelgitter in der der Hand. Nach der Lackierung mit Zinkspray und Silberbronze sah es schließlich aus wie neu.

„Fräulein Rheinberg“ im OP

Doch das Upgrade der Tür sollte aufwändiger werden als erwartet. Die Herausforderung war einerseits, dass der Hauseingang mit dem Wärmedämmverbundsystem verkleidet war. Die Höhe des Rahmens konnten wir problemlos auf das benötigte Maß kürzen, aber der schöne Rahmen mit den schuppenartigen Schnitzereien war 110 cm breit. Wir konnten nur hoffen, dass sich unter dem Wärmedämmverbundsystem ein Türausschnitt von 110 cm verbarg. Da der Rahmen der Alu-Haustür auf ein Maß von 108 cm kam, waren wir eigentlich optimistisch. Eigentlich. Andererseits war sie unten so vermorscht, dass sie samt Rahmen um gute 10 cm gekürzt werden musste.

Wir brachten die Tür in die Schreinerei nach Ratingen. Auch mein Onkel verfiel (wie ich) in eine mehrwöchige, intensive Beziehung zu „Fräulein Rheinberg“, wie er sie irgendwann entnervt-liebevoll nannte. Die Gute hatte schwere Operationen zu ertragen: Sie kam auf die Streckbank, weil sie ein wenig krumm war und wurde vollflächig mit einer Multiplexplatte verleimt. Mit den neuen Korsett war sie dann kräftig genug für neue Edestahlbeschläge, nachdem man ihre alten Scharniere und Beschläge mit hohem Aufwand gewaltsam entfernen musste. Der Anschlag musste zudem auf die andere Seite. Die untere Kassette war schwer verwittert. Um nicht zu sagen: Teilweise verfault. Da die Profilleisten auf der Innenseite das gleiche Profil hatten, konnte der Tüftel-Schreiner den verfaulten Teil entfernen und die Leiste einfach umdrehen. Risse wurden liebevoll abgedichtet und weil mein Onkel Perfektionist ist, hat er Löcher geflickt und unsichtbar gemacht und aus dem überschüssigen Rahmenholz Glasleisten für das schwere Sicherheitsglas und einen kompletten Fensterrahmen für das Fenster hinter dem Gitter gebaut. Er hat Kanten abgehobelt, Dichtungen und Bänder eingefräst und den Rahmen exakt auf das Maß unseres Türauschnitts gebracht. Am Ende steckte deutlich mehr Arbeit und Hirnschmalz in dem alten Schätzchen, als wir alle erwartet hatten und sicher hätte man dafür eine seelenlose neue Tür kaufen oder bauen können. Aber keine wäre so wunderschön gewesen. Nach zwei Lackierdurchgängen – ich war wieder in meinem Element – sah sie fast wieder aus wie neu. Von einem leichten Antiklook abgesehen, aber den soll sie ja auch haben, ist ja eine alte Tür.

Der große Tag

Am 25. August war dann der große Tag, als das kleine unscheinbare Haus wieder einen Hingucker bekam. Wenn man schon die schönen Stuckverzierungen zerstört und es mit Styropor eingepackt hat, hatte es doch wenigstens eine prächtige Haustür verdient. Glücklicherweise ließ sich das Styropor im Türrahmen relativ gut entfernen. Wir hatten einen Türausschnitt von exakt 110,5 cm und waren alle drei erleichtert. Mein Onkel etwas mehr als wir… Dietmar geht das eher mit der was-nicht-passt-wird-passend-gemacht-Haltung an und ich habe mir nach zwei Jahren auf dieser Baustelle eine gewisse Augen-zu-und-durch-Mentalität angeeignet. In gut drei Stunden war der Rahmen millimetergenau ausgerichtet und eingebaut. Wir hatten konsequent Glück: Jeder eingebohrte Anker fand Halt und wir glauben, die baut nie wieder jemand aus. Sollten wir mal von Aliens oder Zombies angegriffen werden: Durch die Tür kommen die nicht!

Es war für uns alle ein sehr bewegender Moment, als wir die Tür in den Rahmen einhingen und sie mit einem sanften Klick sauber ins Schloss fiel. Beim ersten Anblick stiegen mir vor Freude kurz die Tränen in die Augen. Es sieht wunderschön aus, als wäre in dem Häuschen nie eine andere Tür eingebaut gewesen. Wir sind alle stolz und ziemlich glücklich, dass die Aufbereitung und Transplantation gelungen ist. Voilà: Unser Beitrag zum Stadtbild. 🙂

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